FAQ
Stand: 11.04.2023 15:43 Uhr
Die Aufregung um veröffentlichte geheime US-Dokumente ist groß - auch weil sie den Krieg gegen die Ukraine betreffen. Die USA untersuchen den Fall, Kiew spricht von Fälschungen. Aber was genau wurde öffentlich? Und was sind die Folgen?
Was genau steht in den Veröffentlichungen?
Es handelt sich um mehrere Dutzend geheime Dokumente, die übereinstimmenden Berichten zufolge Informationen zu mehreren Staaten und Institutionen beinhalten. Besonders brisant erscheinen die Informationen zu Russlands Krieg gegen die Ukraine. Die Leaks enthalten Angaben zu Plänen der NATO und der USA. Unter anderem geht es darum, wie das ukrainische Militär auf eine bevorstehende Frühlingsoffensive vorbereitet und bewaffnet werden soll. Zudem seien Details zu Anzahl und Art geplanter Waffenlieferungen sowie die voraussichtlichen Lieferdaten vermerkt, hieß es.
Auch benennen sie angebliche Schwächen der ukrainischen Flugabwehr. Ferner zeigen sie Landkarten, auf denen der Frontverlauf eingezeichnet ist und Standorte russischer und ukrainischer Truppenverbände und deren Mannschaftsstärken. Einige der als "geheim" gekennzeichneten Schriftstücke stammten vom Februar und März, wie das Nachrichtenportal "Politico" berichtete. Die Dokumente zeigen ferner, dass die USA auch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ausspioniert haben.
Analysen und Informationen zu anderen Ländern, wie zum Beispiel China, Nordkorea, Iran, Ägypten oder Israel sowie zur UN und der Internationalen Atomenergieagentur IAEA seien ebenfalls in den Dokumenten enthalten, schrieb die Zeitung "Washington Post". Auch sei teilweise zu erkennen, mit welchen Methoden die US-Geheimdienste die Informationen gesammelt hätten und wer die Quellen seien. Die Unterlagen stammten offensichtlich von verschiedenen US-Geheimdiensten und sogar vom Oberkommando der US-Streitkräfte, berichtete das "Wall Street Journal". Es scheine sich um Briefing-Unterlagen zu handeln, hieß es.
Wo wurden die Dokumente veröffentlicht?
Laut dem Investigativ-Netzwerk "Bellingcat" tauchten die Dokumente zuerst auf der bei Gamern beliebten Plattform für Videospiele Discord auf - unter anderem in Kanälen, in denen es um das Computerspiel "Minecraft" und einen YouTube-Star von den Philippinen ging. Von dort hätten sich die Dokumente in dem Netzwerk 4chan und von dort auf Telegram und Twitter weiterverbreitet. Zum Teil handelt es sich um Fotografien von Ausdrucken geheimer Dokumente.
Sind die Dokumente echt?
Hier gehen die Meinungen auseinander. Der US-amerikanische Experte für Cybersicherheit, Thomas Rid, vertrat im Deutschlandfunk die Ansicht, die veröffentlichten Dokumente sähen "absolut echt" aus - wie "geschliffene Endprodukte der Nachrichtendienste". Rid verglich sie mit Kurzberichten "für Entscheider". Der Experte Aric Toler vom Investigativ-Netzwerk "Bellingcat" hält einige Dokumente für echt, andere seien im Nachhinein manipuliert worden.
Ein Teil der Fälschungen soll Angaben zu den Verlusten der ukrainischen Armee betreffen. Diese werden dort als deutlich höher angegeben als die Verluste der russischen Armee. Dies wird von Experten aber stark bezweifelt. Offizielle Angaben zu den Verlustzahlen gibt es nur sehr selten.
Der US-Sender CNN berichtete, Regierungsmitarbeiter hätten die Echtheit der Unterlagen bestätigt. Die südkoreanische Regierung erklärte einen Großteil der Dokumente für "konstruiert". In den das Land betreffenden Unterlagen geht es um die Frage, ob in Südkorea gefertigte Waffen von den USA an die Ukraine geliefert werden.
Wie reagieren die betroffenen Staaten?
Die US-Behörden scheinen die Sache sehr ernst zu nehmen. Das US-Verteidigungsministerium wertete die Veröffentlichung als "sehr hohes Risiko für die nationale Sicherheit". Das Pentagon untersuche die Vorfälle, hieß es weiter. Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates sprach von einem "Anlass zur Sorge".
Oleksij Danilow, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der Ukraine bestritt gegenüber der ARD, dass sein Land wegen der Veröffentlichung militärische Pläne geändert habe. Über den Beginn der geplanten Gegenoffensive werde im allerletzten Moment entschieden, es entspreche nicht der Realität, dass es nur eine Option für die ukrainische Armee gebe, sagte Danilow.
Mychajlo Podoljak, Berater des Präsidentenbüros, bezeichnete die Veröffentlichung als "gewöhnliches Geheimdienstspiel". Die russischen Geheimdienste hätten die Dokumente selbst erstellt mit dem Ziel, unter den Verbündeten der Ukraine Zweifel und Zwietracht zu säen und von den nächsten Etappen im Krieg abzulenken.
Hinter den Kulissen aber herrscht offenbar tiefe Verärgerung in Kiew wegen der veröffentlichten Daten, berichtete CNN unter Berufung auf das Umfeld von Präsident Wolodymyr Selenskyj.
Russland hingegen sieht durch die Berichte in den USA einmal mehr die Verwicklung Washingtons im Konflikt in der Ukraine bestätigt. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte, die "Leaks sind einigermaßen interessant", sie würden jetzt von allen analysiert.
Wer könnte hinter dem Datenleck stecken?
Unklar ist, wer die Dokumente veröffentlicht hat. Der Maulwurf wird jetzt fieberhaft gesucht. Die Ermittlungen richteten sich zuallererst nach innen, berichtete CNN unter Berufung auf Regierungskreise. Hunderte, vielleicht Tausende Mitarbeiter und Außenstehende mit der entsprechenden Sicherheitsstufe hätten Zugang gehabt, sagte ein Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums der "Washington Post".
Cyber-Experte Rid verwies im Deutschlandfunk darauf, dass die abfotografierten Dokumente zum Teil gefaltet gewesen seien, zudem würden die Fotografien weitere Details über die räumliche Umgebung der Dokumente zeigen. Dies wirke so, als habe sich der Fotografierer nicht viele Gedanken über die Sicherheit gemacht - möglicherweise handele es sich um eine "Panne", also nicht um ein gezieltes Leak eines Nachrichtendienstes.
Kremlsprecher Peskow bestritt, dass Russland etwas mit der Veröffentlichung zu tun habe.
Wie könnte sich das Datenleck auswirken?
Die Dokumente könnten den USA, aber auch der Ukraine gleich in mehrfacher Hinsicht schaden. Zum einen gibt es den ausspionierten Staaten Hinweise darauf, wie weit die US-Nachrichtendienste in die Kommunikation der belauschten Staaten eingedrungen sind. Das versetzt sie zugleich in die Lage, etwaige Lücken aufzuspüren und diese gegebenenfalls zu schließen. Dadurch könnten auch US-Informanten in den russischen Reihen gefährdet werden.
Dmitri Alperovitch, Vorstand der Denkfabrik Silverado Policy Accelerator, sagte der "Washington Post", hinsichtlich des Krieges gegen die Ukraine könnten die Leaks Moskau wertvolle Informationen liefern, auch wenn sie schon einige Wochen alt seien. Sie enthielten zwar keine konkreten Schlachtpläne, doch zeigten sie Art und Menge der westlichen Waffen, die auf den Schlachtfeldern der Ukraine angekommen seien, wie viele Soldaten sie bedienen müssten und wie sich die Ukraine gegen russische Angriffe verteidigen wolle.
Nach Ansicht von Cyber-Experte Rid weist das Leck auf ein weiteres Problem der USA hin. Die Größe der US-Nachrichtendienste führe dazu, dass eine hohe Zahl von Mitarbeitern Zugang zu sensiblen Informationen hätten. Das sei ein "grundsätzliches Problem", das nicht entschlossen genug angegangen werde. Die Folge sei ein erneutes Datenleck - nach den Leaks von Edward Snowden und Chelsea Manning. Würde dies anderen Staaten unterlaufen, hätten die USA gewiss aufgehört, Informationen mit den Nachrichtendiensten dieser Länder zu teilen.
Was bedeuten die Leaks für die Partner der USA?
Wie aus den Unterlagen hervorgeht, spionierten die US-Dienste auch in den Reihen der eigenen Verbündeten. Das könnte für Verstimmungen zwischen den Alliierten sorgen - so wie dies bereits nach dem Leak von Snowden zur Belauschung von Verbündeten durch die National Security Agency der USA der Fall war.
Damals erklärte auch die vormalige Bundeskanzlerin Angela Merkel, deren Handy abgehört worden war: "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht."
Insbesondere Israel dürfte verärgert sein, weil aus den geleakten Dokumenten hervorgeht, dass führende Mitarbeiter des israelischen Geheimdiensts Mossad für Proteste im Inland gegen die Justizreform der israelischen Regierung plädiert haben sollen.
Auch werfen die Veröffentlichungen neue Fragen darüber auf, wie sicher Geheimdienstinformationen sind, die andere Länder an die USA weiterleiteten, hieß es mit Blick auf den weitreichenden Austausch von geheimen Informationen zwischen den sogenannten Five-Eyes-Staaten USA, Großbritannien, Australien, Neuseeland und Kanada.
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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das ARD-Morgenmagazin am 11. April 2023 um 08:38 Uhr.